Ein Musiklebnis der besonderen Art

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Gerade in einer persönlich sehr belastenden Lebensphase durfte ich - vielmehr wurde ich mit leichtem Druck dazu motiviert - an einem wunderschönen Chorprojekt teilnehmen. Das erste Mal im Leben als Chorsänger  vor Publikum aufzutreten - und das gleich im ausverkauften goldenen Musikvereinssaal - war ein unvergessliches Erlebnis. Ich wurde gebeten,  meine Eindrücke wiederzugeben - hier sind sie:  ...

 ..., und Barbara Bonney hat mir nicht auf den Bauch gegriffen! 1)

   Erlebnisse eines (Zu?-)Spät-Einsteiegers im Projekt Jahreszeiten –Lebenszeiten

 

Montag Vormittag: Sekt, Gratulation, und Urkunde zu 25 Jahren Treue zur Firma; wenige Stunden später: wir müssen uns aus Kostengründen von ein paar älteren Führungskräften trennen – viel Erfolg in Ihrem weiteren Berufsleben. Hahaha, das war recht fein! 2)
Gute Voraussetzung für die erste richtige Chorprobe meines Lebens – gleich am nächsten Tag!
Wenn nicht liebe und wohlmeinende Freunde mich „motiviert“ hätten, hätte ich solches ohnehin nie gewagt. Seit der Schulzeit hatte ich nie mehr ernsthaft gesungen – und damals auch nur wenig, außerdem haben Noten für mich leider nur wenig Aussagekraft, sie lassen halt nur erahnen ob’s rauf oder runter geht in der Tonhöhe, oder ob’s schneller oder langsamer wird; übrigens was sind denn eigentlich Fermaten oder Synkopen?. Aber meine lieben Freunde meinten, dass auf jahrelanges passives Genießen von Chormusik endlich einmal auch aktive Erfahrung folgen sollte. Man sei ja nie zu alt für einen neuen Anfang und außerdem ist die Krähe ja auch ein Singvogel ... . 

Lampenfieber und das Wissen über totale Inkompetenz waren eine schlimme Barriere. Erstaunlicherweise hat mich aber niemand schief angeschaut - ganz im Gegenteil, ich habe mich in dieser Gesellschaft trotzt aller Ängste sofort sehr wohlgefühlt. Das erste Einsingen hat dann auch schon viel Spaß gemacht. Aber dann wurde schnell klar: aller Anfang ist schwer und leider hatte ich nicht das Glück, einem Kinder-Uni-Chor angehören zu dürfen. Nach zwei Stunden war ich zwar sehr müde, aber erstmals seit Wochen fröhlich und glücklich.

Die nächste Welle größter Verunsicherung brachte die „Drohung“ einer Masterclass mit Barbara Bonney. Am Anfang war es ein Genuss zu erleben, wie Frau Bonney und Herr Glassner mit dem Jugendchor und anschließend mit dem Studentenchor arbeiteten. Was ich dabei (wie auch schon in den Proben davor) über meine eigene Stimme, Artikulation und manches mehr lernen durfte war überwältigend. Dann wurde es aber sehr ernst. Der Chor der Älteren kam an die Reihe. Und plötzlich fand ich mich ganz vorne – Oh Gott, verleih uns Stärk und Mut! Das wird ein Debakel! Bring ich überhaupt einen richtigen Ton heraus? Wird Frau Bonney auch meine Bauchatmung handgreiflich überprüfen? Sie meinte aber nur schlicht und freundlich, dass manche der Bässe etwas zu verspannt schienen. Sie als Sopran kann auch in dieser Stimmlage noch mehr Lärm entwickeln! Ich fühlte mich schuldig - dieser Blickkontakt! Alle Bässe liegen plötzlich auf dem Rücken und siehe da: es geht wirklich besser und macht auch noch Spaß!

In vielen Seminaren für Führungskräfte lernt man, wie wichtig Wertschätzung, Motivation, Teambildung, Freude an der Sache, Effizienz, etc. für das Erreichen eines gemeinsamen Ziels sind – leider ist die gelebte Realität meist meilenweit davon entfernt. Was ich in diesem Projekt erlebt habe, zwingt mich zur Forderung: Mehr Musiker in die Management-Etagen!
Bei aller Zwangslosigkeit setzt der Herr Chorleiter durchaus seinen Anspruch durch, so ist ihm einmal das Gewimmel der Fische zu rythmisch und ein andermal scheint ihm der Studentenchor nicht trinkfreudig genug. Er weiß aber offensichtlich, wie man das bestmögliche mit einem Team erreichen und dabei auch noch Freude bei allen Beteiligten hervorrufen kann..

 

Dann - für mich viel zu schnell, ich hätte gerne noch viele Proben gehabt – kam der große Moment des Auftritts („Dann bricht der große Morgen an ...“). Einmal in diesem Saal auf der anderen Seite stehen zu dürfen, erinnert ja schon an ein Märchen. Dann noch der Herr Dirigent – mitreissend wie ein Gorges Pretre, allerdings mit deutlicher und klarer Schlagtechnik. Ein wirklicher Frühling mit dem Kinder und Jugendchor, ein fulminanter Sommer und Herbst mit dem Webern Kammerchor (ich stand neben den Sopranen – wie schaffen die das denn mit einer solchen Leichtigkeit?). Dann der Winter, das Lampenfieber ist jetzt vorbei, ich konnte nicht viel, aber das mit Begeisterung (hoffentlich nicht allzu falsch)! Dann der Schlusschor aller Zweihundert und aller Generationen – unvergesslich! Ein ausverkaufter goldener Saal voller Menschen in Hochstimmung, und im Gegensatz zu vielen anderen Managern ein Dirigent der auch noch überzeugend Danke sagt!

 

Abschließend meine Warnung: (Chor-)Singen macht süchtig. Bei unerwarteten Nebenerscheinungen wie Lebensfreude oder spontanes Glücksgefühl danken Sie Alois Glassner oder einem/r seiner GesinnungsgenossInnen. (Solche Nachwirkungen waren übrigens beim anschließenden geselligen Beisammensein noch längere Zeit zu spüren und zu hören.)

Anmerkungen

1)... zur Überprüfung der für Sänger grundlegend wichtigen Zwerchfellatmung

2)... kursiv gesetzte Textstellen: Zitate aus dem Werk 


Dieser Text wurde später in folgende Publikation
aufgenommen (p. 186/187):

Die Jahreszeiten des Joseph Haydn
Hubert Gruber Rust(Hg)
Bibliothek der Provinz 2009
ISBN: 978-3-900000-09-7

 Fotos: Laurent Ziegler

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